01_01_DER ANONYME PLAKATABRISS

Berlin ist eine Plakatier-Hochburg. Gekleisterte Anzeigen in allen Formaten so weit das Auge reicht. Nebeneinander, übereinander. Alte Plakate werden durch neue ersetzt. Aber die alten sind nicht verschwunden, sie sind nur nicht sichtbar. In zentimeterdicken Papierschichten sind tausende Bilder und Worte konserviert. Wir legen diese Schichten zwar nicht frei wie ein Archäologe, aber wir legen unseren Fokus auf diese angeschlagenen  Werbeflächen. Zeit und Zufall spielen hier ein Spiel, ohne ersichtliche Regeln und wir sind begeisterte Beobachter.

01_02_LITFASS GOES URBAN ART

Am 5. April 2019 begann ich mit meiner Aktion LITFASS GOES URBAN ART. Ich suchte mir 10 Litfaßsäulen auf der Boxhagener Straße und Umgebung. Jede dieser Säulen wurde von einem Künstler bespielt. So entstand innerhalb eines Tages ein Parcours aus Kunstsäulen mit individueller Gestaltung. Doch dabei sollte es nicht bleiben! Obwohl nach und nach die alten Säulen durch Neuere ersetzt wurden, blieben einige Wenige weiterhin unangetastet. Darunter die älteste Berliner Litfaßsäule auf dem Hackeschen Markt. Diese und 23 weitere Litfaßsäulen konnten noch rechtzeitig, dank dem Landesdenkmalamt Berlin, vom Kahlschlag bewahrt werden.

02_AZTECUBE

Filzteppiche aus trostloser Schlacke; einst gewonnen um Stahlhauben zu gießen. Verziert mit Ozeanen ringsherum und manchmal glimmten Unterseesonnen durch das blaue grün im grauen Gewand. Glassplitter huschten keilartig an den gewetzten Zungen der besungenen Matrosen und wer genau hinsah, schauderte beim feurigen Appetit der wirbellosen Ungeheuer mit ihren würgenden Tentakeln und den zuschnappenden Pappageienschnäbeln.

Gesalbte Erinnerungen. Längst verklärt. Abgestandene Lust wie frisch gegossener Beton aus einem wurmartigen Schlauch gepresst. Gelbes Licht über allem. Weiße Männer tauchen darin auf. Sie reden mit Händen, die Gesichter unscharf. Es sind viele. Ein Schild am Rande der Verirrungen: Contenance!
Wir bleiben stehen. Schweinegrunzen. Lehmboden unter nackten Füßen. Wir gehen weiter. Halten uns an den Haaren des jeweils anderen. Loszulassen wäre reiner Selbstmord. In den Ohren ein betäubendes surren. Nur mit Mühe schafft es die Sonne über den rostigen Rand. Schleifpapier am Gaumen. Es sind die letzten Stunden Traum.

03_UEBER MICH_I

Michael Wismar wäre beinahe nach Mexiko gezogen, hätte jung geheiratet und würde nun vermutlich im Schaukelstuhl vor seinem Haus sitzen und etwas in sein Notizbuch schreiben; einen Traum, ein Gedicht, oder eine Geschichte über einen Kerl, der Flöhe hat. Aber er ist in Deutschland geblieben. Hat in Braunschweig und Berlin Kunstgeschichte studiert. War in Hamburg der Assistent des Fotografen F.C. Gundlach und hat im Haus der Photographie bei der Konzeption umfangreicher Ausstellungen mitgewirkt. Er war der Zuarbeiter zwielichtiger Galeristen und hatte irgendwann genug vom großen Kunstbetrieb. Viel lieber unterwanderte er einen Plakatierbetrieb, um sein eigenes großes Projekt voranzubringen: Der Anonyme Plakatabriss. Dabei handelt es sich um eine medienübergreifende Dokumentation der Plakatierkultur Berlins, die er seit 2014 ständig ausbaut. 2019 okkupierte er Berliner Litfaßsäulen mit anderen Künstlern und rief das Kunstprojekt Litfass Goes Urban Art ins Leben. Er ist Mitglied im Supalife Kollektiv und dort an zahlreichen Ausstellungen als Künstler, sowie als Kurator beteiligt. Wenn er nicht als Straßenfotograf in Erscheinung tritt, ist er Drucker, oder Schreiber. Ein vielseitiger und wacher Geist, der nichts für die Bühne des Banalen übrig hat. Er soll in Berlin leben. (Supalife)